Kleinkind spielt an Schublade - Kindersicherheit

Medienkonsum - Kleinkindern schadet jede Viertelstunde

Interview mit Julia Spätling, Deutsche Familienstiftung Fulda

Smartphone als Babysitter? Abgelenkte Eltern

Das Thema Medienkonsum bei Kindern wird vielfach diskutiert. Viele Eltern fragen sich, ob die Nutzung digitaler Medien Kindern schadet oder ob es sie fit für die Zukunft macht. Wir haben die Diplom-Heilpädagogin Julia Spätling nach ihrer Meinung gefragt.
 
Frau Spätling, viele Eltern stellen sich die Frage, ab wann, wie lange und wie oft Kinder welche Medien nutzen sollen und ab wann es bedenklich wird. Was raten Sie?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten, da das natürlich vom Alter des Kindes und vom Medium abhängt. Bei Kleinkindern zwischen zwei und vier Jahren habe ich aber eine klare Meinung. Sie sind oft mit der Schnelligkeit der Bildfolgen bei Spielen und Filmen völlig überfordert und können nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden. Jede Viertelstunde ist da schon zu viel.
 
Wieso sehen Sie das so rigoros?
Weil zu häufiger Medienkonsum in diesem Alter nachweislich drastische Folgen hat. Beim Kleinkind entwickelt sich das Gehirn ja gerade noch, und es lernt in dieser Phase viele Verhaltensweisen. Dadurch sind Kinder in diesem Alter für die Einflüsse des Fernsehens besonders anfällig. Laut den Forschungen der kanadischen Psychologin Linda S. Pagani an der Universität Montreal wirkt sich zu häufiger Fernsehkonsum in diesem Alter auf lange Sicht gesehen negativ auf Schulleistungen, Gesundheit und Sozialverhalten aus. Viele Kinder können sich beispielsweise schlechter konzentrieren und haben deshalb Schwierigkeiten in der Schule. Kleinkinder sollten also möglichst gar nicht bis sehr wenig fernsehen, je nach Alter können die Zeiten dann langsam angehoben werden.
 
Sie sind also nicht dafür, das Fernsehen komplett zu verbieten?
Nein, Verbote verstärken nur den Reiz. Die Eltern sollten aber klar begründen, warum die Zeiten vor dem Fernseher oder auch vor dem Tablet und dem Computer begrenzt sind. Die Regeln sollten für das Kind nachvollziehbar sein und dann auch konsequent eingehalten werden.
 
Empfehlung zur Nutzung digitaler Medien und TV nach Alter:
 
0 bis 3 Jahre: Maximal 10 Minuten
3 bis 6 Jahre: 20 bis 30 Minuten
7 bis 9 Jahre: 50 bis 60 Minuten
9 bis 13 Jahre: 90 Minuten
 
Konsequent ist ein gutes Stichwort. Viele Eltern werden das kennen: Auch wenn eine halbe Stunde klar verabredet war, geht garantiert danach das Gequengel los.
Das auszuhalten ist eine grundsätzliche Erziehungsaufgabe und – auch wenn es nicht immer leicht ist – unser Job als Eltern. Diskussionen sollten daher nur begrenzt zugelassen werden. Diskutieren Sie nicht immer wieder das gleiche Thema, obwohl sich Ihre Haltung ja nicht ändert. Hier gilt es genauso konsequent zu bleiben, wie in anderen Bereichen auch. Eltern machen sich sonst unglaubwürdig.
 
Was raten Sie Eltern noch, um negative Einflüsse des Fernsehens in Grenzen zu halten?
Ich weiß, wie entspannt es manchmal ist, den Fernseher als Babysitter zu missbrauchen und die Kinder einfach mal eine halbe Stunde davor zu setzen. In Ausnahmesituationen ist das sicher auch in Ordnung, sollte aber nicht zur Regel werden. Schauen Sie sich lieber mit den Kindern gemeinsam Filme an, die Sie zusammen vorher aussuchen. Bei schwierigen Filminhalten können Sie direkt darüber sprechen und das Geschehene erklären, damit die Kinder es richtig einordnen und besser verarbeiten können.
 
Nun ist das Fernsehen aber ja nicht das einzige Medium, dem die Kinder ausgesetzt sind …
Natürlich sind Computer, Tablets und Smartphones hilfreiche und entspannende Geräte im Alltag von Eltern und Kindern. Auch hier müssen die Häufigkeit des Umganges und die Nutzungsdauer dem Alter angemessen sein. Wer seinem jugendlichen Kind den Umgang verbietet, unterbindet gleichzeitig seine sozialen Kontakte, die heute nun einmal anders aufgebaut und gehalten werden als früher. WhatsApp-Klassengruppen sind praktisch und spätestens in der weiterführenden Schule an der Tagesordnung. Man muss sich aber über Vorzüge und Risiken bewusst sein und mit dem Kind offen darüber sprechen. Sicher gibt es auch Apps und Spiele, die durchaus die Fantasie der Kinder anregen und die Entwicklung fördern können. Wichtig ist, dass die Eltern wissen, was die Kinder mit dem Handy machen.
 
Jetzt haben wir ja eher von älteren Kindern gesprochen. Laut aktuellen Studien, bekommen aber schon Kindergartenkinder bis zu 30 Minuten am Tag das Smartphone der Eltern in die Hand gedrückt.
Smartphones gehören nicht in die Hand eines Kleinkindes und während der Zeit, wo das Kind wach ist, auch nicht zu oft in Mamas Hand, denn gerade Kleinkinder imitieren das Verhalten der Eltern.
Ähnlich wie ein Fernseher blockiert das Gerät die Bewegungsfreudigkeit und den Entdeckerwillen sowie Kreativität und Flexibilität von Kindern. Es fördert hyperaktives Verhalten und Aggressionen und kann den aktiven Lernprozess behindern.
 
Wie beurteilen Sie die ja auch oft beschworene Vorbildfunktion der Eltern, gerade bei der Handynutzung?
Ganz klar ist es die Rolle der Eltern, mit gutem Beispiel voran zu gehen, das heißt auch selbst nicht ständig online sein, reale Kontakte pflegen und mit dem Kind so oft wie möglich raus in die Natur gehen. Außerdem kann es helfen, wenn auch die Eltern den Kindern erklären, ob sie gerade den Wetterbericht abrufen, sich die Route mit den wenigsten Staus heraussuchen oder eben doch schnell eine berufliche E-Mail bearbeiten oder sich mit der Freundin über WhatsApp austauschen. Das führt automatisch dazu, das eigene Verhalten zu reflektieren und sich zu fragen, ob das jetzt wirklich sein muss. Wenn gemeinsam Regeln aufgestellt werden, sind die von allen Beteiligten im Familienverband einzuhalten. Sie müssen daher realistisch und bedarfsorientiert sein und immer wieder angepasst werden.
 
Was genau kann passieren, wenn die Eltern zu häufig von Smartphone und Co. abgelenkt sind?
Wenn die Aufmerksamkeit für das Kind reduziert ist, bemerkt die Mutter Verhaltensänderungen ihres Kindes und gefährliche Situationen nicht oder nicht rechtzeitig. Es besteht zum Beispiel die Möglichkeit, dass das Kind plötzlich auf die Straße läuft, weil es auf der anderen Seite etwas gesehen hat, das die Mutter nicht bemerkt hat. Davon abgesehen spricht man insgesamt weniger mit dem Kind, obwohl gerade die Kommunikation ein wichtiges Bindeglied zwischen Eltern und Kind ist. All diese Dinge gelten schon für die ersten Tage nach der Geburt. Gerade dann ist der Kontakt immens wichtig und sollte nicht durch zu viel Fernsehen, Handy etc. gestört werden.
 
Vielen Dank für das Gespräch.
 

Dr. Stefanie Märzheuser | AXA

Familienschule Fulda

„Starke Kinder brauchen glückliche und zufriedene Eltern für ein unbeschwertes Aufwachsen“, dafür steht die Familienschule Fulda, eine Einrichtung der Deutschen Familienstiftung.

Die Familienschule Fulda ist ein Ort, wo Eltern Antworten auf ihre Fragen bekommen, Kontakte knüpfen und hilfreiche Kurse von Geburtsvorbereitung über Eltern-Kind-Gruppen bis hin zu Selbsthilfe-Gruppen finden können.

Neben den genau auf die Bedürfnisse von werdenden und jungen Eltern abgestimmten Kursangeboten erhalten die Eltern familien- und partnerschaftsstärkende Hilfen zu Themen wie Sicherheit und Klarheit im eigenen Vorgehen, Alltagsgestaltung, Selbstpflege, Stress- und Zeitmanagement sowie verlässliche Unterstützung und Beratung bei unterschiedlichsten Problemen.