Mutige Eltern für mutige Kinder
Übertreiben Eltern es mit der Sorge um Sicherheit und Wohlergehen der eigenen Kinder? Die AXA Kindersicherheitsinitiative hat dazu mit Anke M. Leitzgen und Gesine Grotrian gesprochen. Die Autorinnen des Buches "BÄNG! 60 gefährliche Dinge, die mutig machen" über die Ängste von Eltern und was Kinder stark macht.
Eltern werden heute gerne mal pauschal kritisiert, nimmt man alleine den Begriff der Helikopter-Eltern. Ist es tatsächlich so, dass Kinder heute von ihren Eltern zu sehr beschützt und dadurch eingeengt werden?
GROTRIAN: Übermütter gab es auch schon früher. Allerdings hat der gesellschaftliche Wandel das Zusammenleben von Familien in einer Weise verändert, die Kindern heute vermutlich weniger Freiräume lässt. Es gibt mehr Einzelkinder, auf die sich die ganzen Erwartungen der Eltern konzentrieren. Es gibt mehr Stadtkinder, die selten allein oder mit ihren Freunden spielen können ohne dabei beobachtet zu werden. Und die Eltern von heute sind im Durchschnitt älter als früher. Sie gehen an das Thema Erziehung häufig sehr reflektiert heran, wollen alles richtig machen und für ihre Kinder das Beste herausholen. Das unbestimmte Gefühl, dass die Kinder ohne Top-Schulabschluss keine Chance haben, spielt natürlich eine Rolle. Alles in allem kann man wahrscheinlich sagen, dass die Kindheit heute nicht mehr so unvoreingenommen abläuft wie vielleicht noch vor 30 Jahren. Vermutlich sind wir alle ein bisschen Helikopter. Trotzdem dürfen wir unsere Kinder nicht in Watte packen und müssen ihnen die Chance geben, gefährliche Dinge auszuprobieren. Was natürlich nicht heißen soll, dass man sie unnötigen Risiken aussetzt.
In Ihrem Buch stellen sie eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Gefahrenexperimente vor. Warum brauchen Kinder überhaupt so etwas wie Mutproben?
LEITZGEN: Psychologen haben dazu etwas Interessantes herausgefunden: Kinder, die sich an gefährliche Situationen heranwagen, lernen dabei Ängste abzubauen. Manchmal geht es auch darum, etwas Verbotenes zu tun, ohne dabei erwischt zu werden. Die Idee hinter Bäng! ist, Kinder bewusst zu einer Mutprobe herauszufordern die zwar spannend, aber eben nicht gefährlich ist. Wir geben ihnen einen geschützten Raum, in dem sie lernen, Schritt für Schritt sicherer zu werden. Denn was kann man ihnen besseres wünschen, als krisenfest und alltagstauglich zu werden?
Was macht Kinder denn mutig?
LEITZGEN: Vereinfacht gesagt: Mutige Eltern. Wer seinen Kindern Freiräume lässt, zeigt ihnen automatisch, dass er ihnen etwas zutraut. Begrenzungen sind angebracht, wenn es um die Sicherheit geht. Hier müssen Eltern abwägen: Ein Kind, dass noch nie auf einen Baum geklettert ist, kann auch nicht einschätzen wie gefährlich das ist.
Eltern wollen ihre Kinder bestmöglich für das Leben rüsten. Aber es gibt ja nun mal keine Gebrauchsanweisung für den Nachwuchs. Wie erkennen Eltern, was sie ihren Kindern zutrauen können und was nicht?
GROTRIAN: Auch wir haben uns natürlich gefragt, wie lange wir beim groß ziehen sagen, du bist zu klein, das ist zu gefährlich und plötzlich heißt es, das kannst du schon, du bist schon groß. Der Tag ist an sich voll mit Gefahren. Doch jeder fürchtet sich vor anderen Dingen. Der eine hat Angst vor Spinnen, der andere vor dem Sprung von einer hohen Mauer und der nächste traut sich nicht, vor einer größeren Gruppe zu sprechen. Wenn wir unsere Kinder gut kennen, dann sollten wir auch ein Gespür dafür haben, was wir ihnen zutrauen können und was nicht. Die Frage ist auch: Was trauen wir Eltern denn eigentlich uns selbst im Umgang mit unseren Kindern zu? Ich hatte zum Beispiel nicht geahnt, wie viel Angst ich davor hatte, das meine Kinder das Nudelwasser selbst abschütten. Da habe ich erst verstanden, warum meine Kinder erst so spät Spaghetti kochen konnten, obwohl ich das eigentlich viel früher wollte. Meine Angst hatte es verhindert.
Wie kann man besonders besorgte Eltern ermutigen, ihrem Kind mehr Freiraum zu schenken?
LEITZGEN: Mir hilft der Gedanke, dass Kinder nichts so klug macht, wie sich draußen zu bewegen, mit Dingen zu experimentieren und etwas zu wagen. Das alles legt ein solides Fundament fürs Denken. Und wenn dieses Fundament in den ersten Jahren zu schwach gerät, weil es an Bewegungs- und Handlungsspielräumen fehlt, wird man darauf später nichts bauen können. Kein Wunder also, dass wo immer, wenn eine Handvoll Kinder und Jugendlicher unterwegs ist, garantiert einer auf die Idee kommt, dass es spannender wäre rückwärts, seitwärts oder über die Mauer zu laufen. Als Mutter muss ich eigentlich nur dabei sein, sie machen lassen und da sein, wenn es richtig gefährlich wird.
Gesine Grotrian, Grafikerin und Illustratorin und Anke M. Leitzgen, Journalistin und Autorin entwickeln und gestalten Bücher und Websites für Kinder und Jugendliche. "Bäng! 60 gefährliche Dinge, die mutig machen" ist erschienen bei Beltz & Gelbert.