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Kleines Mädchen pflanzt Samen in die Erde

Erziehung ohne viele Verbote: Fördern Sie die Selbstständigkeit von Kindern!

Mit Checkliste

„Messer, Gabel, Schere, Licht, sind für kleine Kinder nicht.“ Punkt. Diesen Spruch kennen die meisten von uns. Klar und deutlich zeigt er die grundlegende Haltung der autoritären Erziehung auf, die vorwiegend mit strengen Regeln, Ge- und Verboten, Belohnung und Bestrafung agiert. Von Kindern wird hier eher Gehorsam erwartet als ein Einsehen. Das Wort des Erwachsenen zählt mehr als individuelle Bedürfnisse und gegenseitiges Verstehen. Alte Schule: Denn Untersuchungen zeigen längst, dass zu viel ‚Nein‘ und Verbote weder für die Beziehung zwischen Eltern und Kind förderlich sind, noch die Entwicklung des Kindes selbst sonderlich stärken. Im Gegenteil: Kinder, die allzu häufig ein „Nein“ zu hören bekommen, leiden oft unter einem verminderten Selbstwertgefühl und sind in ihrer Selbstständigkeit und Kreativität beschnitten. Außerdem: Verbote fordern geradezu zum Übertreten auf. Konflikte in der Familie sind vorprogrammiert.

Eltern sind deshalb besser beraten, eine für sich und das jeweilige Kind gesunde Mischung aus den verschiedenen Erziehungsstilen (autoritativ, permissiv, egalitär, demokratisch) zu wählen, am besten mit Fokus auf demokratischen Erziehungsmethoden. Eine Welt also mit warmer Zuwendung, klaren Regeln, gegenseitigem Zuhören und (Er)Klären der Positionen. Klingt gut? Ist aber nicht so leicht umzusetzen?

Julia Spätling, Diplom-Heilpädagogin und Leiterin der Familienschule der Deutschen Familienstiftung in Fulda, gibt Ratschläge und Tipps für eine Erziehung ohne viele Verbote.

Frau Spätling, warum greifen viele Eltern in der Erziehung zu Verboten?

Frau Spätling: Oft steckt die eigene Erziehung dahinter, viele Eltern haben es nicht anders gelernt. Häufig spielen Ängste mit oder Unsicherheiten, manchmal ist es auch Hilflosigkeit oder das Nicht-Kennen von Alternativen. Die meisten Eltern möchten ja nur das Beste für ihr Kind und wollen es natürlich vor Gefahren schützen. Da liegen Verbote oft vermeintlich am nächsten, um irgendetwas Schlimmes zu verhindern. Besser sind aber möglichst wenige, dafür sinnvolle Verbote, um die Beziehung zwischen Kind und Eltern nicht übermäßig zu strapazieren und das Kind in seiner Entwicklung nicht einzuschränken.

Kann man Gefahren aus dem Wege gehen?

Frau Spätling: Man kann Gefahren nur aus dem Weg gehen, wenn man sie kennt. Deshalb ist es so wichtig, schon mit kleinen Kindern - aber auch erst ab 2 Jahren! - den Umgang mit den so genannten „gefährlichen“ Gegenständen wie Schere, Messer oder Hammer zu trainieren und ihn nach und nach zu erlauben. Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen! Nur so lernen und entwickeln sie sich weiter. Nur so lernen sie Mut und Selbstständigkeit und das Gefühl für sich selbst und die jeweiligen Fähigkeiten. Hier gilt nicht „weniger ist mehr“: Denn mit zu engen Grenzen und zu vielen Verboten verhindert man, dass das Kind eine eigene Einschätzung von sich selbst und seiner Umwelt erlangt.

Gibt es eine Alternative zu Verboten und wie sieht die aus?

Frau Spätling: Zu viel Nein in der Erziehung bringt nur Probleme. Einerseits schleift sich das Wort ab. Wenn man es zu oft hört, verliert es an Relevanz, an Gewicht. Andererseits macht es sowohl die Eltern wie die Kinder unzufrieden und unglücklich. Besser ist es da, Nein-freie Räume einzurichten, also zum Beispiel die Dinge, die das Kind nicht in die Hand nehmen darf, außer Reichweite zu bringen. Manchmal auch nur für eine bestimmte Zeit, bis es groß genug ist, um zu verstehen, dass gewisse Dinge nicht angefasst werden dürfen oder einfach nicht zum Spielen gedacht sind.

Wichtig ist es auch, Ersatzangebote zu machen. Wenn das noch kleine Kind zum Beispiel nicht mit den CDs oder Büchern im Regal spielen darf, kann es vielleicht Töpfe und Besteck hin- und her- und aus- und einräumen und sortieren. Wenn es nicht auf den Tisch klettern darf, können Sie ihm einen Parcours aus Kisten und umgedrehten Stühlen bauen. Größere Jungen und Mädchen können sich aktiv am Kochen beteiligen und zu Beginn leichte Schnippelaufgaben (z.B. Bananen) übernehmen oder Gemüse mit dem Sparschäler schälen. So können sie gleich Erfahrungen auf mehreren Ebenen sammeln: Einerseits erfahren sie Selbstwirksamkeit, weil sie selber etwas alleine tun, das hebt den Selbstwert. Zweitens werden die Kleinen ganz nebenbei an gesundes Essen herangeführt. Und drittens trainiert jedes Kind so wunderbar die Feinmotorik, hier insbesondere die Auge-Hand-Koordination.

Auch ist bei den modernen, digitalen Medien wie Internet, Fernsehen oder Handy mit reinen Verboten nicht viel gewonnen. Besser ist es diese Dinge in das Alltagsleben zu integrieren, mit klaren Regeln, über die gemeinsam gesprochen wurde, und als Eltern an der Welt der Kinder teilzuhaben, sich regelmäßig auszutauschen und so in Kontakt zu sein und zu bleiben. Das gilt auch für den schon älteren Nachwuchs. So bekommen Väter und Mütter am ehesten die Wünsche, Bedürfnisse, Interessen und Aktivitäten ihrer Kinder mit und können sie im offenen Dialog lenken und beeinflussen.

Wie schützt man Kinder am besten vor Gefahren?

Frau Spätling: Indem man die Kinder – entsprechend ihrem Alter und Entwicklungsstand – auf die Gefahren hinweist, sie erklärt und sie sie kennenlernen lässt. Das Beste ist dabei die Vorbildfunktion der Eltern. Lassen Sie ihr Kind zusehen, wenn Sie Gemüse schneiden oder Feuer machen, zeigen Sie ihm wie das geht, wie Sie es machen. Dann lassen Sie es Ihr Kind versuchen. Vertrauen sie ihm, geben Sie ihm die Möglichkeit, es auf seine Weise zu machen, den Umgang langsam zu erlernen, zu trainieren und dabei Selbstsicherheit zu gewinnen. Und funken Sie nicht zu oft dazwischen. Lassen Sie Ihr Kind auch mal Fehler machen. Aus Fehlern wird man klug.

Für Eltern ist das natürlich schwer. Es ist nicht leicht, das Kind Gefahren auszusetzen, auch wenn es nur geringfügige wie mögliche Kratzer, eine Beule oder eine kleine Schnittverletzung sind, und dabei zuzusehen, dass es sich wehtun könnte, dass es vielleicht auf die Nase fallen wird etc. Wichtig ist natürlich, dass man wirklich Schlimmes verhindert. Hier ist vor allen Dingen eine realistische Einschätzung seitens der Eltern bezüglich der möglichen Risiken notwendig. Sie sollten immer erst überlegen: Was passiert denn nun wirklich? Und: Was könnte im schlimmsten Falle geschehen?

Bei welchen Gefahren müssen Erwachsene definitiv einschreiten und klare Anweisungen treffen?

Frau Spätling: Das sind ganz klar alle Gefahren, bei denen absehbar ist, dass das Verletzungsrisiko (zu) hoch ist. Zum Beispiel Dinge wie ein offener Kamin, Wasser oder der Straßenverkehr. Hier würde niemand auf die Idee kommen und propagieren, das können kleine Kinder schon alleine meistern. Hier gehören klare Regeln und Gebote her: Natürlich muss man ein Kleinkind an der Hand über die Straße führen oder vor der Gefahr einer Verbrennung bewahren. 

Familienschule Fulda

„Starke Kinder brauchen glückliche und zufriedene Eltern für ein unbeschwertes Aufwachsen“, dafür steht die Familienschule Fulda eine Einrichtung der Deutschen Familienstiftung

Die Familienschule Fulda ist ein Ort, wo Eltern Antworten auf ihre Fragen bekommen, Kontakte knüpfen und hilfreiche Kurse von Geburtsvorbereitung über Eltern-Kind-Gruppen bis hin zu Selbsthilfe-Gruppen finden können. Neben dem genau auf die Bedürfnisse von werdenden und “jungen” Eltern abgestimmte Kursangebote, können die Eltern Sicherheit und Klarheit im eigenen Vorgehen, sowie Familien- und Partnerschaftsstärkende Anteile wie Alltagsgestaltung, Selbstpflege, Stress- und Zeitmanagement und verlässliche Unterstützung bei Problemen erhalten. 

Wie können Eltern ihre Kinder am besten mit Messer, Gabel, Schere und Licht vertraut machen?

Frau Spätling: Maria Montessori hat den schönen Satz geprägt: „Hilf mir, es selbst zu tun.“ Erziehen Sie Ihr Kind zur Selbstständigkeit. Nehmen Sie Ihrem Kind nicht alles ab. Lassen Sie es möglichst viele Dinge, zunächst natürlich unter Anleitung, selbst machen. Zeigen Sie ihm geduldig, ruhig und langsam, wie es geht. Und haben Sie keine Angst. Eine gewöhnliche Schere ist nicht in der Lage, einen Finger zu durchtrennen. Es entsteht maximal ein leichter Schnitt, der mit einem Pflaster versorgt werden kann. Durch diesen Schnitt aber lernt das Kind, dass eine Schere ihm weh tut. Es wird in der Zukunft sorgfältiger schneiden und auf seine Finger achten. Diese Erkenntnis überträgt es dann auch auf schärfere Scheren oder Messer.

Spätestens im Kindergarten benötigen die Kinder Scheren. Wer erst dann schneiden lernen muss, ist im Nachteil gegenüber den anderen. Es gibt schöne, leichte und gut schneidende Kinderscheren, mit denen auch die Kleinen ohne Bedenken hantieren dürfen und auch können. Ausschneiden ist etwas, womit sich viele kleine Kinder sehr gerne und lange beschäftigen. Solange die Kinder nicht mit Messer und Gabel ohne Beaufsichtigung herumlaufen, kann in der Regel nicht viel passieren. Eine Gabel kann nur pieken. Natürlich gilt hier immer: nur kontrollierter Umgang im Beisein der Eltern!

Feuer dagegen ist heiß und gefährlich: Es kann etwas zerstören. Den Respekt vor Feuer kann man den Kleinen gut an einem Streichholz vermitteln. Man kann die Flamme kontrolliert beobachten und spüren, z.B. wenn man mit dem Finger vorsichtig näher an sie herangeht. Denkt man über den Gebrauch eines Schnitz- bzw. Taschenmessers nach, sollte man dies erstens vom Alter abhängig machen und zweitens den Gebrauch mit dem Kind zunächst trainieren. Denn ein Taschenmesser hat höhere Anforderungen an die Handhabung. Auch solche Messer gibt es mit abgerundeten Spitzen.

Mein Fazit: Umgang mit gefährlichen Gegenständen: ja – aber immer gut begleitet durch einen Erwachsenen!

Frau Spätling, wir danken Ihnen für das Interview und die hilfreichen Tipps.

Checkliste für die Förderung von Selbständigkeit bei Kindern

Die wichtigsten Tipps für die Erziehung von Kleinkindern

Zur leichten und schnellen Orientierung haben wir Ihnen in Zusammenarbeit mit der Familienschule Fulda die wichtigsten Tipps in einer Checkliste zusammengestellt, wie Sie die Selbstständigkeit bei Kleinkindern am besten fördern:

  • Jeder Mensch ist einzigartig
    Jedes Kind ist anders und entwickelt sich seinen Anlagen entsprechend. Vergleichen Sie deshalb Ihr Kind nicht mit anderen. Kaum ein Kind durchläuft die klassische Entwicklung, wie sie in den Büchern steht (dort stehen Durchschnittswerte).
  • Vertrauen ist die Basis
    Vertrauen Sie Ihrem Kind. Überlegen Sie erst einmal, was als schlimmste Möglichkeit passieren kann, wenn Sie es die eine oder andere Sache selbstständig machen lassen. Sehen Sie sich Ihr Kind gut an, schauen Sie, ob es geistig, körperlich, und seelisch in der Lage ist, eine bestimmt Aufgabe zu meistern. Dabei ist es wichtig bestimmte Grenzen und Regeln zu setzen und einzuführen.
  • Führen Sie Ihr Kind
    Setzen Sie sinnvolle Grenzen! Grenzen und Regeln, die man versteht, fördern die soziale und emotionale Entwicklung Ihres Kindes. Eine als zu groß erlebte Welt verunsichert und überfordert Ihr Kind: Sie bietet zu viele Möglichkeiten, die die Fähigkeiten eines Kindes häufig übersteigen. Daraus können Frustration oder in anderen Fällen sogar unkontrolliertes Handeln entstehen.
  • Der Raum für Entscheidungen wächst mit Ihrem Kind
    Lassen Sie ein Kleinkind an Entscheidungen teilhaben, die nicht mit großer Verantwortung verbunden sind: Es kann z.B. die Farbe einer Topfblume aussuchen, seinen Brotbelag selbst bestimmen oder seine Kleidung selbst wählen.
    So fühlt es sich angenommen und akzeptiert. Dinge wie, wann es ins Bett geht oder ob es auf die Straße laufen darf, kann es natürlich noch nicht entscheiden. Die Möglichkeiten sollten Sie dem Alter entsprechend anpassen.
  • Akzeptanz und Wertschätzung
    Nehmen Sie die Meinung Ihres Kindes ernst – auch wenn Sie vielleicht anderer Auffassung sind. Versuchen Sie je nach Alter und bei Meinungsverschiedenheiten, wenn es möglich ist, einen Kompromiss zu finden. So wertschätzen
    Sie die Person Ihres Kindes und beziehen es mit ein. Kinder merken sehr gut, wenn sie mit etwas überfordert sind. Akzeptieren Sie auch die Entscheidungen, etwas nicht zu tun. Zu einem anderen Zeitpunkt geht es dann vielleicht
    umso einfacher.
  • Motivieren Sie zum Weitermachen
    Fördern heißt auch Fordern. Geben Sie deshalb nicht zu schnell auf, wenn Ihr Kind sich etwas nicht traut. „Du kannst das!“ ist ein guter Satz – versuchen sie es zu bestätigen und so zu motivieren.
  • Geduld ist oft der Schlüssel
    Bewahren Sie Geduld, wenn Ihr Kind z.B. lange am Spielplatzrand stehen bleibt, sich im Schwimmbad vor dem Sprung ins Wasser scheut oder die Socken einfach nicht so schnell anzieht. Jedes Kind braucht seine Zeit und hat
    sein eigenes Tempo. Je mehr man ein Kind antreibt, desto langsamer wird es. Planen Sie deshalb einfach doppelt so viel Zeit ein.
  • Jedes Alter bringt neue Herausforderungen
    Versuchen Sie Ihre Entscheidungen immer wieder entsprechend der Entwicklungsphase anzupassen: Jedes Alter erfordert ein neues Abgleichen des Bestehenden!
  • Geben Sie Ihrem Kind Sicherheit
    Seien Sie konsequent und zuverlässig in Ihrem Handeln, das vermittelt Ihrem Kind Sicherheit. Wenn Sie einmal so und ein anderes Mal anders entscheiden, was es tun darf oder nicht, verunsichern Sie es unnötig.
  • Richten Sie den Blick auf das Gute
    Es sind die kleinen, aber wirksamen alltäglichen Vertrauensbeweise und das Lob von Ihrer Seite, die Kinder als wertschätzend und ermutigend erleben und es gleichzeitig fördern.
  • Und denken Sie auch an sich!
    Sind Sie selber stabil und ausgeglichen, fällt Ihnen die Grenzsetzung bestimmt nicht so schwer, sind Sie erschöpft, unglücklich oder unzufrieden, wahrscheinlich umso mehr. Daher ist es sehr wichtig, dass Sie auf sich achten und für
    sich selbst Sorge tragen.

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